Nicht bestellen, sondern gleich mitnehmen

Im Berliner Pressefachgeschäft von Sven Bethke stapeln sich auf 70 Quadratmetern 2.500 Präsenztitel. Für Umsatz sorgt auch ein großes Randsortiment mit Glückwunschkarten für jeden Anlass. Und obendrein können die Kunden noch ihre Hemden zum Waschen und Bügeln abgeben.

Geschenkkarten, wohin das Auge blickt. Vor dem Presse-, Tabak- und Lottoladen von Sven Bethke stehen 20 meist vollbepackte Ständer. Im Shop kommen weitere hinzu. Karten für jeden Anlass sind der Renner in dem 70 Quadratmeter großen Geschäft unter dem Dach des 5.000 Quadratmeter großen Einkaufszentrums „Kaufmitte Siemensstadt“ im gleichnamigen Berliner Stadtteil. Das üppige Sortiment ist bei den Kunden dermaßen beliebt, dass zuweilen Lücken in den Ständern auftauchen, weil die Lieferanten mit dem Nachschub hinterherhinken. Bei diesem Umsatzbringer überlässt Bethke nichts dem Zufall: „Wir besuchen regelmäßig die entsprechenden Fachmessen in Hamburg und Frankfurt am Main, um zu sehen, was es auf diesem Gebiet Neues gibt“, sagt der gelernte Karosseriebauer. Auf die Vertreter zu warten, dauert ihm zu lange.

Dort, wo Sven Bethke und seine beiden Mitarbeiterinnen Sandra Uchert und Kyra Agababa heute von 7 bis 19 Uhr Zeitungen, Zeitschriften, Tabakwaren und Lottoscheine verkaufen, betrieb die Vormieterin eine Reinigung. Im Jahr 2008 wollte der heute 41-jährige das damals freiwerdende Ladenlokal übernehmen und in einen Presseshop umwandeln. Das Center-Management stellte eine Bedingung: Zumindest eine Reinigungsannahmestelle muss bleiben. So kam es, dass Bethke, Uchert und Agababa ihre Kunden auch in Sachen Textilpflege kompetent beraten können.

Im Mittelpunkt des Geschehens stehen jedoch die etwa 2.500 Präsenztitel, die sich auf 90 Bordmetern drängen. Ob dieser Fülle bleibt für den einzelnen Titel nicht viel Platz. Doch Bethke kann sich die enge Schuppung erlauben: „Wir haben fast ausschließlich Stammkunden, die wissen, wo ihre Zeitschriften liegen.“ Das Gedränge in den Regalen hat den Vorteil, dass die Kunden auch sehr spezielle Titel nicht bestellen müssen, sondern gleich mitnehmen können. „Wenn jemand zum Beispiel ein Bogensportmagazin haben will, soll er es sofort bekommen“, lautet Sven Bethkes Credo. In Siemensstadt, an der Schnittstelle der beiden Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf und Spandau, sind jedoch nicht die Sportzeitschriften der Renner, sondern Modellbautitel der unterschiedlichsten Art.

In der Charlottenburger Streitstraße, wo Bethke im Jahr 2000 seinen ersten Laden mit 35 Quadratmetern eröffnet hat, erfreuen sich hingegen diverse Geschichtsmagazine großer Beliebtheit, gefolgt von mittelpreisigen Frauenzeitschriften und Titeln aus dem Segment Einrichten und Wohnen. Hier erlebte der Seiteneinsteiger einen etwas holprigen Start in die für ihn neue Branche: Wenige Monate nach der Übernahme des Shops wurde eine gegenüberliegende Schule geschlossen. In der Folge brach der Umsatz des bis dahin florierenden Schreibwarensortiments kräftig ein. Das war hart, doch aufgeben stand für Sven Bethke und seine damalige Lebenspartnerin nicht zur Debatte. Im Gegenteil: Mit einer gehörigen Portion Ehrgeiz und Beharrlichkeit hielten sie durch und hatten am Ende die Nase vor den beiden benachbarten Mitbewerbern vorn: Die mussten schließen.

Mit inzwischen drei Läden, die immer mit jeweils zwei Mitarbeitern besetzt sind, hat Bethke eine kritische Größe erreicht. „Zwei Geschäfte kann ich gut im Auge behalten, aber drei nicht mehr.“ Für die Leitung des jüngsten Sprosses, der sich ebenfalls in Charlottenburg befindet, brauchte er also eine Vertrauensperson, „auf die du dich zu 100 Prozent verlassen kannst.“ Die hat er gefunden. 70 bis 90 Stunden pro Woche sind für den Chef dennoch eher die Regel als die Ausnahme. Schließlich ist die insgesamt zehnköpfige Mannschaft urlaubs- und krankheitsbedingt selten komplett an Bord ist.

Buchführung & Co. werden somit oft zum Sonntagsvergnügen. Also weitere Mitarbeiter einstellen? Das könnte dann wieder zu eng werden. Das Risiko, die neuen Angestellten nach einem halben Jahr wieder entlassen zu müssen, ist Bethke zu hoch. „So möchte ich mit Menschen nicht umgehen.“ Was bleibt, ist das Gedankenspiel, weitere Läden hinzuzunehmen, oder wieder kleiner zu werden. Bethke tendiert zu Ersterem. „Aber das will gut überlegt sein.“

Bis die Entscheidung gefallen ist, mischt Sven Bethke, dem das Verkaufen in die Wiege gelegt worden ist, trotz der hohen Arbeitsbelastung gerne kräftig im Tagesgeschäft mit. Im Gegensatz zu vielen anderen Presseshops endet das Geschäft in seinen Läden nicht um 18, sondern erst um 19 Uhr – auch samstags. Und die letzte Stunde hat es in sich. Denn dann kommen viele Angestellte aus den umliegenden, bereits geschlossenen Einzelhandelsunternehmen, um sich noch schnell mit Zeitschriften, Tabakwaren oder einem kalten Drink für den Heimweg zu versorgen.

Seinen Wechsel vom Lkw- zum Pressehändler hat Bethke nicht bereut. „Das Geschäft mit den Lastwagen war mir zu unstet. Hier im Zeitungsladen ist immer etwas los, das liegt mir eher.“ Und wenn es zwischendurch mal etwas ruhiger sein sollte, macht sich der ehemalige Karosseriebauer Gedanken darüber, was man anders und besser machen könnte. Am Standort Siemensstadt, wo auch Fotoarbeiten angenommen werden, hat er beispielsweise einen Versuchsballon mit Wohnaccessoires gestartet. Im Vergleich zum stark boomenden Geschäft mit den Geschenkkarten, für die viele Kunden extra aus anderen Stadtteilen anreisen, war das zwar nicht der Bringer, aber zumindest einen Versuch wert. Und mit Sicherheit wird dem Vollblutverkäufer Sven Bethke etwas Neues einfallen, das sich besser verkaufen wird als die Accessoires.

Veröffentlichung in: PresseReport

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